Julia ist 35 Jahre alt und EMAH, eine Erwachsene mit angeborenem Herzfehler. Dreierlei war in ihrem Leben „einfach immer schon da“: ihr Traum, einmal Kinderkrankenschwester zu werden, ihr Kinderwunsch und die bange Frage, ob letzterer mit ihrer Herzgeschichte vereinbar sein wird. Mit 34 brachte Julia ihren Sohn Luka zur Welt. Demnächst endet die Elternzeit, dann wird sie wieder als Kontaktschwester im Deutschen Herzzentrum München arbeiten.
Die Details ihrer ersten Lebensjahre als Herzkind kennt Julia nur aus den Erzählungen ihrer Mutter. Demnach fallen den Ärzten kurz nach ihrer Geburt ungewöhnliche Herzgeräusche auf, die Sorgen bereiten. Die folgenden Untersuchungen bringen die Erklärung: eine hochgradige Aortenisthmusstenose (ISTA) und bikuspide Aortenklappe. Julias Körperschlagader ist am Übergang des Aortenbogens in die absteigende Hauptschlagader verengt und ihre Aortenklappe weist nur zwei Taschen auf statt der üblichen drei.
Das kleine Mädchen kann damit zunächst leben, doch im Alter von vier Jahren ist die Verengung so gravierend, dass Julia in der Uniklinik Erlangen operiert wird. In einer End-zu-End-Anastomose wird die Körperschlagader vor und hinter der Engstelle abgeklemmt, das verengte Segment entfernt und die beiden Gefäßenden wieder miteinander vernäht. Doch die Stelle verengt sich rasch erneut, nur ein Jahr später wird der Eingriff wiederholt.
Die dritte Operation steht an, als Julia 10 Jahre alt ist. Wieder ist die Aorta zu eng und außerdem hat sich herausgestellt, dass die Herzklappe nicht mitwächst. Dem Mädchen wird eine künstliche Aortenklappe eingesetzt – und während der Operation versehentlich das Reizleitungssystem geschädigt, ein bekanntes Risiko bei diesem Eingriff. Sie erleidet einen AV-Block Grad 3, was bedeutet, dass die Impulsübertragung der Herzvorhöfe auf die Herzkammern komplett unterbrochen ist. Julia braucht und bekommt einen Herzschrittmacher, mit Folgen für ihr weiteres Leben: Ab jetzt muss sie
das blutverdünnende Medikament Marcumar einnehmen. Von hier an sind ihre eigenen Erinnerungen lebendig: „Ich fand das mit 10 schon extrem doof, die Zeit im Krankenhaus, das ständige Pieksen und Testen am Anfang, bis alles richtig eingestellt war…“.
Mit der Zeit wird die Marcumar-Einnahme zur Routine und Julia ist wieder ein ganz normales, fideles Kind, dem man den Herzfehler nicht anmerkt. Bloß beim Sport muss sie vorsichtig sein, darf keinen Leistungssport machen. Ihr Wunsch, einmal Kinderkrankenschwester zu werden, verfestigt sich unterdessen immer mehr und die eigenen Klinikaufenthalte schrecken sie nicht ab, sondern wecken eher ihre Neugier. Als die vierte Herzoperation ansteht, ist Julia 17 und bereits in der Ausbildung. Die bisherige Herzklappe ist nun zu klein für sie und muss ausgetauscht werden. Drei Monate ist sie außer Gefecht gesetzt, erholt sich in der Reha aber gut und setzt ihre Ausbildung fort. Doch kaum hat sie diese beendet und ein halbes Jahr als Kinderkrankenschwester gearbeitet, muss sie erneut unter das Messer, OP Nummer 5.
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Endspurt zum funktionierenden Herz
Denn Julias Hämoglobin-Wert ist zu niedrig, erstmals geht es ihr nicht gut, sie fühlt sich schwach und die Ärzte finden heraus, dass die eingesetzte Herzklappe zu groß ist, so dass die Blutkörperchen geschädigt werden. Es ist der längste und komplizierteste Eingriff, auch weil sich durch die vorherigen Operationen bereits so viel Narbengewebe gebildet hat. Was außerdem anders ist: Julia ist jetzt vom Fach, trotz vollsten Vertrauens in die Mediziner hat sie mehr Respekt und Angst, macht sich Gedanken und schaut genauer hin. Umso glücklicher und erleichterter ist sie, als auch diese letzte OP überstanden ist. Nun ist ihr Herz „fertig“ operiert. Ihren INR-Blutwert für die Dosierung des Marcumar testet sie nur noch wöchentlich, der Herzschrittmacher muss in Zukunft alle zehn Jahre ausgetauscht werden, es gibt keine weiteren Einschränkungen. Die junge Frau zieht von Bayreuth nach München, beginnt dort im Deutschen Herzzentrum als Kontaktschwester zu arbeiten.
Ihre Aufgabe: Julia begleitet Herzkind-Familien durch den Klinikalltag, ist Vermittlerin zwischen Eltern, Ärzten, Schwestern, Physiotherapeuten, der sozialmedizinischen Nachsorge. Sie klärt auf, baut auf, hilft. „Wenn es passt oder ich denke, dass es gut tun könnte, erwähne ich auch meinen eigenen Herzfehler“, erzählt sie. Denn es ist tröstlich für die Eltern von Herzkindern, zu sehen, dass man sich durchaus normal entwickeln und einem Beruf nachgehen kann. Auch betroffene Jugendliche und andere EMAH suchen und schätzen den Austausch mit Julia, fühlen sich erleichtert und motiviert. Sie kennt das aus ihrer eigenen Vergangenheit: Es tut gut, mit anderen Betroffenen zu reden, nie wird man besser verstanden.
Mit Zweifeln in die Schwangerschaft
Fünf Jahre arbeitet Julia auf der Station, dann wechselt sie auf die Frühchen-Intensivstation in Großhadern, durchläuft die Fachweiterbildung für Kinderintensivmedizin. Sie und ihren Mann Erik beschäftigt nun mehr und mehr der Wunsch nach einem eigenen Baby. Doch beide sind auch unsicher: Kann eine Schwangerschaft gutgehen mit dieser medizinischen Vorgeschichte? Was sind die Risiken für Mutter und Kind? Es ist noch nicht allzu lange so, dass viele EMAH alt genug werden, um selbst Kinder zu bekommen. Entsprechend wenig Erfahrung haben die Mediziner. Julia spricht mit ihren Ärzten, lässt sich zur Sicherheit gründlich durchchecken, und erfährt: Ihr geht es körperlich prima, einer Schwangerschaft steht nichts im Wege. Bis auf die Marcumar-Einnahme, die ist das eigentliche Hauptthema.
„Marcumar ist plazentagängig“, erklärt Julia, „es kann sich also auf das ungeborene Kind auswirken, auf Gehör, Knochenstrukturen oder das Gehirn“. Allerdings kommt es auf die Dosierung an und die von Julia ist relativ niedrig. Gleichzeitig ist das Medikament über lebenswichtig für sie und verhindert, dass sich in ihrem Körper Thrombosen bilden. Ganz sicher und einig sind sich die Ärzte nicht, die Abwägung der Risiken ergibt, dass Julia das Medikament weiter einnehmen und erst vor der Entbindung temporär zu Heparin-Spritzen wechseln soll.
Die Schwangerschaft verläuft zunächst ganz normal, Mutter und Kind geht es gut. Doch dann wird beim ersten Screening festgestellt, dass das Nasenbein des Babys etwas verkürzt ist. Die Pränataldiagnostikerin der Uniklinik Großhadern misst die Nackenfalte, einen Hinweis auf Trisomie oder eine ähnliche Erkrankung gibt es demnach nicht. In der 22. Woche ist eine Fruchtwasserpunktion zwar nervenaufreibend, bleibt aber zum Glück ebenfalls ohne Befund. Der Verdacht verfestigt sich, dass tatsächlich Marcumar die Ursache ist und Julia wird von Zweifeln und Gedanken gequält, ob sie es nicht doch früher hätte absetzen sollen. Nun heißt es abzuwarten, denn ein MRT ist wegen des Herzschrittmachers nicht möglich. Hoffentlich wird das verkürzte Nasenbein nicht die Atmung des Babys beeinträchtigen.
Luka – endlich ist er da!
Zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin kommt Luka zur Welt. Julia hatte sich während der ersten Wehen noch Sorgen gemacht: Seit vier Wochen spritzt sie sich nun Heparin, kann deshalb keine schmerzlindernde Periduralanästhesie (PDA) bekommen, falls die Schmerzen zu schlimm werden. Doch ihr Sohn hat es so eilig, dass dies gar nicht zur Debatte steht: Nach nur zweieinhalb Stunden im Kreißsaal ist er da! Er hat keinerlei Probleme mit der Nasenatmung und dass seine Nase ein wenig abgeflacht ist, fällt nur auf, wenn man es weiß. Der Kinderarzt ist gründlich. Kopf, Augen, Herz, alles wird genauestens untersucht und dann steht fest: Luka ist kerngesund, bloß mit 2.200 Gramm Gewicht etwas klein und schmal. Drei Tage nach der Geburt wird die kleine Familie nach Hause entlassen.
Doch nach nur drei weiteren Tagen sind sie zurück in der Klinik: Lukas Gesicht hat sich gelb verfärbt und das Atmen scheint ihm nun doch schwerzufallen. Sofort rotiert das Gedankenkarussell: Was könnte übersehen worden sein? Julia erinnert sich gut an den Schock und die Angst dieser Tage. Aber auch daran, wie gut die Ärzte und Schwestern in Großhadern sie aufgefangen haben. Einige kennt sie aus der Zeit, als sie selbst dort gearbeitet hat. „Ich kam dann sozusagen in den Genuss meiner eigenen Arbeit“, erzählt sie, „und habe gemerkt, wie gut es tut, einfach loslassen und abgeben zu können, weil Menschen da sind, die sich kümmern, mitdenken und Tipps geben “. Verkehrte Welt, diese Rolle hat sonst sie selbst inne.
Und Luka? Nachdem die Ärzte erneut kein medizinisches Problem finden, wird er auf die Überwachungsstation verlegt. Er ist zur Sicherheit an einen Monitor angeschlossen und bekommt Sauerstoff. Julia wohnt derweil im Zimmer nebenan, kann ihn jederzeit sehen. Nach einer Woche hat sich alles von selbst normalisiert und stabilisiert, auch der etwas erhöhte Calciumwert im Blut. „Er hat wohl einfach diese Woche noch gebraucht, um sich anzupassen“, meint Julia.
Ein ganz normales Leben
Inzwischen ist Luka ein Jahr und einen Monat alt, besucht bereits die Krippe. Julia genießt die Elternzeit sehr, freut sich aber auch auf die Rückkehr in den Beruf. Noch zwei Monate, dann wird sie wieder Kontaktschwester im Deutschen Herzzentrum sein, freut sich bereits auf ihre Kolleginnen und darauf, „den Kopf mal wieder mehr anzustrengen“. Doch nun steht erstmal noch die Hochzeit von Eriks Schwester an – in Südafrika. Vier Wochen lang wird die kleine Familie dort unterwegs sein und Urlaub machen, bis es zurück geht in den deutschen Alltag.
Und dann, wie steht es nach dem Erlebten um die weitere Familienplanung? Julia könnte sich gut vorstellen, später noch ein zweites Kind zu bekommen, „aber die Vernunft sagt nein“. Zu frisch sind noch die Ängste und Unsicherheiten, auch die Erinnerung daran, welch große Sorgen sich Erik um sie gemacht hat. So will sie das Glück lieber nicht nochmals herausfordern. „Schwangerschaften von EMAH sind noch mit vielen Fragezeichen versehen, die Handhabung des Marcumar ist da ein gutes Beispiel“, sagt sie.
Für die Zukunft wünscht sie sich von Forschern und der Ärzteschaft noch mehr Bewusstsein für die Situation der EMAH, mehr Fokussierung und besseren Austausch zwischen den Kliniken. Julias Hoffnung ruht auch auf kinderherzen, sie verfolgt alle Aktivitäten und liest regelmäßig die Herzgeschichten: „Normalerweise stehen ja die Kleinen im Fokus, aber die Erwachsenen brauchen längst auch eine Stimme“. Mit ihrer Geschichte will sie Frauen mit angeborenem Herzfehler Mut machen und mehr Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, das zum Glück immer relevanter wird: Auch EMAH haben Kinderwünsche.
Diagnose und aktuelle Situation
Julia wurde im Jahr 1989 mit Aortenisthmusstenose (ISTA) und bikuspider Aortenklappe geboren. Eine erste Operation behob im Alter von vier Jahren die Verengung im Bogen der Aorta, jedoch nur vorübergehend. Nach einem Jahr musste die OP wiederholt werden. Eine dritte Operation stand im Alter von 10 Jahren an, diesmal mit der zusätzlichen Problematik, dass Julias Herzklappe nicht mitwuchs. Sie bekam eine künstliche Aortenklappe und weil sie während des Eingriffs einen AV-Block Grad 3 erlitt, direkt auch einen Herzschrittmacher. Als die Klappe sieben Jahre später zu klein geworden war, wurde sie ausgetauscht. Durch ein zu großes Exemplar. Deshalb folgte nach zwei weiteren Jahren, mit 19, OP Nummer fünf. Auch die überstand Julia gut und wurde in ein Leben fast ohne Einschränkungen entlassen.
Mit Anfang 30 konsultierte sie ihre Ärzte wegen ihres Kinderwunsches mit dem Ergebnis, dass einer Schwangerschaft nichts im Wege steht. Bis auf die für Julia lebenswichtige Einnahme des Blutverdünners Marcumar. Die werdende Mutter wurde engmaschig überwacht und ersetzte das Medikament vier Wochen vor der Entbindung durch Heparin-Spritzen. Ihr Sohn Luka kam komplikationslos zwei Wochen vor dem errechneten Termin auf natürlichem Wege zur Welt. Ein gesundes Baby, nur das Nasenbein des Jungen ist etwas verkürzt. Dies ist möglicherweise auf Marcumar zurückzuführen.