von Dina Benito
Triggerwarnung. In dieser Herzgeschichte geht es auch um den Tod von Kindern mit angeborenem Herzfehler.
Ein Sommerkind – wie die Mama! Kira hält ihr Herzbaby Jona verliebt im Arm. Bevor es für Jona weiter auf die Kinderherzstation geht, darf die frisch gebackene Mama ihren kleinen Jungen noch eine Zeit lang halten, kuscheln, ihm nah sein. Zurück im Patientenzimmer trifft Kira auf ihre Bettnachbarin. Auch eine Herzmama, deren Kind den gleichen Herzfehler hat. Für beide Mütter heißt es nun warten … Wie nah oft Glück und Leid beieinanderliegen und wie man Wertschätzung für das findet, was man hat, davon handelt diese Herzgeschichte.
Es ist Juli 2018 und Corona noch nicht mehr als eine Biermarke. Kira wartet im Uniklinikum Gießen auf die erste Operation ihres Neugeborenen. Dass dieser Moment kommen würde, weiß Kira schon lange. Bereits in der 20. Schwangerschaftswoche wird der Verdacht bestätigt: Angeborener Herzfehler, eine Aortenisthmusstenose. „Ich weiß, wie es mir nach der Diagnose ging und wie wichtig für mich der Austausch mit anderen Betroffenen war. Ich habe im Internet jede Geschichte, jeden Artikel darüber studiert und ich war dankbar, die Erfahrungen anderer zu lesen – gerade die, die Hoffnung geben“, erinnert sich Kira an die Zeit zurück.
Herzbaby Jona kommt
Sie wird fünf Tage vor dem Entbindungstermin aufgenommen, nach drei meldet sich Jona an. „Die Geburt war total schön. Zehn Stunden, ganz ruhig, und die Hebammen waren richtig toll. Dass ich mein Kind nach der Geburt noch halten durfte, hat mir sehr viel bedeutet.“ Das kleine Herzbaby wird in die Kinderkardiologie gebracht. Er muss erst mal etwas zunehmen, bevor die erste Herzoperation ansteht.
Hoffnung und Abschied so nah beisammen
Kira versteht sich gut mit ihrer Zimmernachbarin, beide sind Herzmamas. „Ich war froh, dass das Klinikum uns beide auf ein Zimmer gelegt hat und nicht mit einer Mutter, die ihr Kind glücklich im Arm halten durfte. Wir haben beide auf unsere Babys gewartet“, erzählt Kira. Am nächsten Tag will sie ihren Kleinen besuchen, als der Alarm losgeht. Etwas Schreckliches ist passiert: Das andere Herzkind hat die erste Operation nicht überlebt. Das Baby mit dem gleichen Herzfehler. Zu tiefem Mitgefühl mischt sich eine riesige Furcht. „Es wurde immer gesagt, dass man diesen Herzfehler gut operieren kann, aber in diesem Moment hatte ich pure Angst.“
Doch Kira muss tapfer sein, denn wenige Tage später wird sich Jona dem ersten Eingriff stellen. Dabei wird ein Stent in den Ductus (Verbindung zwischen Lunge und Herz bei Neugeborenen) implantiert, damit sich dieser nicht verschließt, und eine Einengung der Lungenarterien – ein pulmonalarterielles Banding – durchgeführt. Mit dieser Methode kann der kleine Körper auf die große Korrekturoperation vorbereitet werden und bis dahin mehr Kraft gewinnen. Einen Tag zuvor war Kiras Geburtstag, an den sie sich noch gut erinnert: „Einerseits war es mein schönster Geburtstag, weil ich mein Kind hatte und es in dem Moment da war und am Leben. Andererseits hatte ich Angst vor dem nächsten Tag, vor dem Abschied an der OP-Schleuse und dass es eben nicht gut läuft.“
Während Oma und Mama am OP-Tag gemeinsam auf den Ausgang warten, verabschiedet sich die andere Familie im Nebenraum für immer von ihrem kleinen Sternenkind. „Das ist mir noch sehr lange in Erinnerung geblieben und hat mich tief darin geprägt, noch mehr zu schätzen, dass wir Jona bei uns haben.“
Das erste Mal zu Hause
Jonas Operation verläuft zum Glück erfolgreich. Er muss noch zur Überwachung auf der Neugeborenen-Intensivstation bleiben. Kira darf zwar täglich vier bis fünf Stunden zu ihrem Kind, jedoch ohne kuscheln oder stillen. Als sie sechs Tage später entlassen werden, nimmt sie sich den Rat der ansässigen Psychologin zu Herzen: „Genießt es und versucht die Zeit so gut es geht zu nutzen!“
„Und wie wir die Zeit als Familie genossen haben!“, meint Kira lächelnd. „Es war total schön zu Hause mit Joni. Teilweise konnten wir seine Erkrankung sogar vergessen, trotz der Kontrolltermine.“ Das erklärte Ziel: Jona muss größer werden und an Gewicht zulegen für die nächste Operation.
Jonas Herz erlaubt keinen Aufschub
Im September steht wieder eine Routinekontrolle an. Während des Ultraschalls wird der Arzt immer ruhiger, bis er es ausspricht: „Ihr dürft nicht mehr nach Hause!“ Jona braucht dringend eine Not-OP, da der Ductus sich trotz Stent verschlossen hat. „Ich habe damit nicht gerechnet und man hat Jona auch nichts angemerkt. Wir hatten keine Zeit zum Packen, aber auch keine Zeit, um groß nachzudenken“, erklärt Kira.
Schon am nächsten Tag soll Jona operiert werden. Es ist die große, lebenswichtige Operation. Das Aufklärungsgespräch in der Uniklinik Gießen beruhigt Kira nicht: „Wir geben unser Bestes, aber es ist eine 50:50-Chance. Entweder er schafft es oder nicht“, hört die junge Mutter, bevor sie die Papiere unterzeichnen soll. „Manchmal würde man es am liebsten gar nichts davon wissen. Ich habe doch keine Wahl. Natürlich machen wir die Operation. Wenn wir sie nicht machen, dann stirbt mein Kind! Also habe ich unterschrieben und gehofft und gewartet.“
Die 50:50-Operation
Jona wird sofort für die Operation vorbereitet. Seine Mama und Großeltern dürfen sich noch von ihm verabschieden, bevor er in die OP-Schleuse gebracht wird. „Das war mit das Schlimmste. Mein Kind lag da und hat nichts geahnt. Er war fröhlich, er hat gelächelt und war völlig ahnungslos. Und ich konnte nichts machen, außer Aushalten.“
Acht Stunden sind für die Operation angesetzt. Acht Stunden, die sich anfühlen wie eine Ewigkeit. Zur Überbrückung fährt die Familie an einen nahegelegenen Steinbruch. „Wir saßen dort nur, keiner hat geredet. Wir waren alle mit unseren Gedanken bei Jona und haben auf den einen Anruf gewartet. Und wenn dieser nach geplanten acht Stunden nicht kommt, dann wird es einem ganz mulmig. Das Klingeln meines Handys war das erlösendste Geräusche jemals.“
Eine Operation mit Nachspiel
Die Operation verlief komplikationslos. Jona liegt auf der Intensivstation, fixiert und an das Beatmungsgerät angeschlossen. Aufgrund einer Blutungsneigung konnte sein kleiner Brustkorb noch nicht verschlossen werden. Doch je länger der Brustkorb offen bleibt, desto unsteriler. Es hört noch immer nicht auf zu bluten. Kira ist sehr besorgt, ebenso wie das Pflegepersonal, die das Herzbaby engmaschig betreuen. Zum Glück stoppt die Blutung und der Brustkorb kann am nächsten Tag verschlossen werden.
Jona bleibt noch ungewisse Zeit auf der Intensivstation. „Während das eigene Kind auf der Intensivstation ist, fühlt man sich absolut hilflos. Man darf ein paar kleine Tätigkeiten übernehmen, aber nicht mal das Kind halten. Man kann nur da sein.“
Kira verbringt die nächsten drei Wochen bei ihrem Kind in der Uniklinik Gießen. Sie findet in dieser Zeit viel Rückhalt bei anderen Herzeltern vor Ort. Es werden sogar Freundschaften geknüpft. „Man hat sein eigenes Päckchen zu tragen, aber man sieht auch, wie andere es machen und hat eine Verbindung. Und ich bin bis heute sehr dankbar für die Spitzenbetreuung in der Uniklinik Gießen, von Anfang an.“
Die Zukunft beginnt jetzt
Als sie endlich nach Hause dürfen, ist es, als ob ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Mutter und Sohn leben sich erneut sehr schnell zu Hause ein. „Es hätte uns kaum besser treffen können, wenn man das so sagen darf. Wir haben so viele Schicksale mitbekommen, auch die schlimmen, und können wirklich sagen, dass wir extrem viel Glück hatten!“, sagt Kira. Nach acht Monaten können die Medikamente ausgeschlichen werden. „Und dann war es, als ob ihn nichts mehr aufhalten könnte. Da fing das richtige Leben an.“
Topfit trotz Baustellen
Jona ist heute voller Energie. Er rennt, tobt und hüpft herum. Nur die Narbe lässt noch auf die schwere Erkrankung schließen. Seine strahlende blaue Kulleraugen blicken schüchtern in die Kamera, ein süßes Lächeln huscht über das kleine Gesicht. Jona sieht aus, als ob er kein Wässerchen trüben könne. „Das täuscht“, lacht Kira, „er ist ein richtiger Wildfang.“
Am liebsten ist er draußen im Wald oder im Garten. Er kann sich stundenlang mit seinen Dinosauriern oder Spielzeugautos beschäftigen. Aber die außergewöhnliche Belastung der ersten frühen Monate sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen. „Es fällt ihm schwer, fremdbestimmt zu werden. Gerade im Kindergarten führt das zu Herausforderungen. Deshalb waren wir bei der Frühförderung und werden in Kürze in einer Gruppentherapie kindgerecht daran arbeiten.“
„Nicht die Glücklichen sind dankbar, es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“ – Francis Bacon
Einmal jährlich geht Jona zur Kontrolluntersuchung, zuletzt im März dieses Jahres. „Natürlich hat man vor jeder Untersuchung Angst. Trotzdem – besser hätte es nicht laufen können und besser könnte das Herzchen jetzt nicht aussehen, auch wenn noch minimale Restdefekte vorhanden sind.“ Um diesen wundervollen Verlauf gebührend zu ehren, feiert Jona seinen Geburtstag zweimal: Am Tag seiner Geburt und am Tag der zweiten OP, als ihm ein neues Leben, eine Zukunft, geschenkt wurde.
Kira kann heute mit viel Dankbarkeit auf die Erfahrungen der vergangenen Jahre zurückblicken: „Es gibt so viele Sachen, die man in dem Moment genießen muss, auch im Alltäglichen. Das habe ich dank Jona gelernt. Mein Herzkind wird jetzt vier. Wie glücklich ich sein darf, dass es so gekommen ist. Allein, wenn ich diese lebensfrohen Augen sehe. Unsere Kinder sind so viel stärker, als wir es uns vorstellen können!“
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