Endlich, nach knapp drei Wochen mit mehreren Arztbesuchen und täglicher Inhalation, lässt die Bronchitis der 10 Monate alten Lena nach. „Es ist halt ein Virus, das kann dauern“, hatten die Mediziner gesagt. Doch die Erleichterung ihrer Eltern Vanessa und Ludwig währt nur kurz, schon im Monat darauf kehren die Symptome mit Macht zurück: Lena hustet, spuckt, ist schlapp und atmet viel zu schnell. Sie mag weder laufen lernen noch Brei essen, es fehlt einfach die Kraft. Wieder gehen ein paar Wochen ins Land, dann wird das kleine Mädchen im Krankenhaus von Amberg geröntgt: Verdacht auf Lungenentzündung. Doch nicht die Lunge ist das Problem, sondern die Ärzte sehen einen Schatten beim Herzen. Die folgende Ultraschall-Untersuchung zeigt, dass Lenas linke Herzkammer viel zu groß ist, größer als bei einem Erwachsenen: Sie leidet an Dilatativer Kardiomyopathie und ihr Husten ist ein Herzhusten, ausgelöst durch eine Stauung im Lungenkreislauf. „Das wäre nicht mehr lange gut gegangen“, sagt Vanessa, „wir hatten Glück, dass sie überlebt hat“.
Lena wird direkt auf die Intensivstation der Kinderherzklinik Erlangen verlegt. Hier versuchen die Spezialisten, sie mit verschiedenen Herzmedikamenten einzustellen. Bei manchen Kindern lässt sich damit ein Stillstand erreichen und sie kommen mit der vergrößerten Herzkammer zurecht. Doch Lenas Erkrankung ist schon zu weit fortgeschritten, als dass dies eine langfristige Möglichkeit wäre. Immerhin eine Verschnaufpause sollen die Mittel ihr verschaffen: Nach vier Wochen wird sie nach Hause entlassen, um dort die Zeit bis zu ihrer Banding-OP zu überbrücken, die für den übernächsten Monat geplant ist – genau wie die Listung für die Transplantation. Denn letztlich, das steht mittlerweile fest, wird sie ein neues Herz brauchen. Vanessa und Ludwig sehnen sich nach ein wenig Normalität, wollen den Schock verarbeiten und Ruhe in die Familie einkehren lassen. Auch für Lenas großen Bruder Johannes, der zu dieser Zeit erst fünf Jahre alt ist und die Welt nicht mehr versteht: Weil er sich im Kindergarten einen Infekt eingefangen hatte, durfte er nicht mit auf die Herzstation und hat Eltern und kleine Schwester kaum gesehen.
Immer wieder Rückschläge
Doch nur zwei Tage lang hält Lena es zu Hause aus, dann ist der Herzhusten zurück und die Ärzte entscheiden, die Operation vorzuziehen. Wenige Tage später wird das Banding gemacht, ein großer Eingriff am offenen Herzen, bei dem ein Bändchen zwischen die beiden Herzkammern gelegt wird, um die vergrößerte linke Kammer zu entlasten. Die OP gelingt, aber an deren Ende müssen die Ärzte Lena vier Minuten lang reanimieren, wie Vanessa und Ludwig im Nachhinein erfahren. Dann wird ihre kleine Tochter für eine Woche ins künstliche Koma versetzt. „Der Chefarzt hat Lena mit einem rohen Ei verglichen“, berichtet Vanessa, „sie brauchte das Koma zum Regenerieren und damit sich in ihrem Körper alles wieder einspielt“. Danach ist Lena fitter als zuvor. Kein Herzhusten mehr, sie hat Appetit, beginnt laufen zu lernen und darf auf die normale Station. Diesmal folgt der Rückschlag nach einer Woche: Da bekommt das kleine Mädchen Fieber, wahrscheinlich wegen eines neuen Zahns. Das ist zu viel für ihr krankes Herz, wieder hustet sie, erbricht, ist schlapp, will nur noch ruhig auf dem Körper ihrer Mutter liegen. „Da war kein Lebenswille mehr, sie war nicht wiederzuerkennen und mein Mann und ich konnten es kaum ertragen“, erinnert sie sich.
Das Kunstherz ist die Rettung
Irgendwann kann Lena nicht einmal mehr schlafen, weil sie ständig erbricht, da beschließen die Spezialisten in Erlangen, sie operativ an ein Kunstherz anzuschließen, damit es ihr besser geht. Das Mädchen übersteht die zweite große Herzoperation innerhalb von vier Wochen und ist fortan mit dem Berlin Heart verbunden: Zwei Schläuche führen von der linken Herzkammer durch die Bauchdecke zu dem Gerät mit dem externen Ventrikel, durch den das Blut nun fließt. Bald nach der Operation geht es Lena besser, ihre alte Power kehrt zurück. Sie bekommt Physiotherapie und holt rasant an Entwicklung auf. Überraschend schnell gewöhnt sie sich auch an das Gerät, akzeptiert es voll und ganz, wie ein Körperteil. Für ihre Eltern ist die Herausforderung groß. „Wie hält man bloß ein Kind, aus dem zwei Schläuche herauskommen?“, fragt sich Vanessa anfangs. Das Gerät mit der permanent arbeitenden Membranpumpe ist 13 Kilo schwer und in einem Trolley untergebracht, zehn Stunden hält ein Akku, die Schlauchverbindung misst 1,5 Meter. Weiter kann sich Lena nicht von ihrem externen Herzen entfernen, jederzeit muss jemand bei ihr sein und den Wagen bewegen.
Jetzt spenden: Herzkindern helfen
Die Klinik Erlangen macht den Unterschied
Baden, duschen oder im Sand spielen darf Lena nicht. Doch diese Einschränkungen sind im Vergleich gering: „Erlangen ist die weltweit einzige Klinik, wo Kinder mit externer Herzunterstützung überhaupt nach Hause dürfen“, berichtet Vanessa, „überall sonst leben sie bis zur Herztransplantation auf der Station – und das können Jahre sein“. Sie haben die Klinik auf eigene Verantwortung und nach eigener Risikoabwägung verlassen: gefährlicher Zwischenfall zu Hause gegen Lebensbedingungen auf der Station. Für die beiden keine Frage, Lena soll so normal wie möglich leben – und ihr Bruder Johannes ebenso. Die Krankenkasse segnet die Entscheidung ab, vier Wochen lang lernen Vanessa und Ludwig alles Notwendige, auch Lenas Großeltern bekommen eine Geräteschulung. Der lokale Brandschutzmeister besucht sie zu Hause und jemand von der Rettungsleitstelle. Es wird eine Rettungskette gebildet für den Notfall und geschaut, wo dann ein Hubschrauber landen könnte. Die Erlanger Kardiotechniker sind involviert und fortan 24 Stunden täglich per Videoanruf erreichbar, ebenso die Intensivstation. Doch es funktioniert recht komplikationslos, das Leben mit dem Berlin Heart. Erst nach zehn Monaten muss Lena einmal stationär in die Klinik: Sie hat einen Magen-Darm-Infekt und ihr Blutgerinnungswert schießt in die Höhe, auf keinen Fall darf sie sich nun stoßen oder verletzen. Drei Tage und sie kann zurück nach Hause.
Schnell spielen sich Routinen ein: Dreimal pro Woche erledigt Vanessa, die eigentlich im Büro arbeitet und jetzt das dritte Jahr in Elternzeit ist, den Verbandswechsel: „Lena hat zwei offene Wunden am Bauch, die ich sorgfältig reinigen muss, ich bin dann gekleidet wie im OP“. Außerdem gibt sie ihrer Tochter verschiedene Gerinnungsmittel, damit das Blut nicht an dem externen Ventrikel anhaftet und Gerinnsel bildet. Alle sechs Wochen fahren sie zur Kontrolle nach Erlangen, wo die Ärzte bisher zufrieden sind mit Lenas Entwicklung. Vanessa hat Freundinnen mit gleichaltrigen Kindern, die sie treffen, so dass die fröhliche, energiegeladene Lena, die wegen der Gefahr eines Infekts nicht in die Krippe gehen darf, Kontakte hat. Oft spielt sie auch mit dem mittlerweile sechs Jahre alten Johannes, der seine Schwester abgöttisch liebt und ihr vorsichtig den Wagen nachfährt. Damit er nicht zu sehr im Schatten von Lena und ihrer Erkrankung steht, unternehmen die Eltern so oft wie möglich etwas mit ihm allein. Und wenn am Vormittag die Pflegekräfte ins Haus kommen, kann Vanessa ihn vom Kindergarten abholen, einkaufen und für die Familie kochen. Sie ist dankbar für jede Unterstützung: „Die Situation zehrt schon sehr an den Kräften“.
Zu jeder Zeit auf Abruf
Eine Grundanspannung ist immer da bei Lenas Eltern: Je schneller ihrem kleinen Mädchen ein neues Herz transplantiert wird, desto besser. Und je länger die Wartezeit, desto mehr Komplikationen können auftreten. Zum dauerhaften Einsatz des Berlin Heart existiert noch keine Statistik, das Gerät in dieser Form gibt es erst seit drei Jahren. „Vorher hat die Maschine 120 Kilo gewogen mit einer Akkulaufzeit von 30 Minuten“, weiß Vanessa, „und hätten mein Mann oder ich in den 80er Jahren als Babys diesen Herzfehler gehabt, wären wir daran gestorben“. Kürzlich wurde einer der beiden Erlanger Mitpatienten von Lena nach sieben Monaten mit Berlin Heart erfolgreich transplantiert, der zweite wartet bereits seit drei Jahren. Ein Jahr ist es jetzt bei Lena. Jeden Moment kann der Anruf kommen, dass ein passendes Organ zur Verfügung steht, ein permanentes Hoffen. Zugleich fühlt es sich furchtbar an, dass erst ein „ähnliches“ Kind sterben muss, damit das eigene gerettet wird. „Das willst du dir gar nicht vorstellen“, sagt Vanessa, „meine Höchstachtung vor Eltern, die sich in dieser schwierigen Situation entscheiden, die Organe von ihrem Kind zu spenden“. Sie selbst und Ludwig, der aus einer Bestatterfamilie kommt, sind „schon ewig“ Organspender, „das Thema trieb uns schon mit 18 um“. Doch die meisten Menschen sehen keinen Grund, sich ohne Not damit zu befassen, selbst im Freundeskreis der beiden war das so bis zu Lenas Diagnose. „Aber inzwischen hat sich eine Freundin sogar ein Tattoo stechen lassen, das sie als Organspenderin ausweist“, berichtet Vanessa lächelnd. Sie und Ludwig hoffen, dass die Politik endlich eine Widerspruchslösung einführt. „Denn keine Organe spenden zu wollen ist vollkommen in Ordnung“, findet das Paar, „aber jeder erwachsene Mensch sollte einmal über das Thema nachgedacht haben“. In Deutschland warten derzeit – mit Lena – 24 Kinder bis 15 Jahre auf ein Spenderherz. Insgesamt benötigen aktuell knapp 8.400 Menschen ein neues Organ.
Diagnose und aktuelle Situation
Die kleine Lena kam vor zwei Jahren und zwei Monaten normal entwickelt als gesundes Baby zur Welt. Erst im Alter von zwölf Monaten wurde, nachdem sie wochenlang an schlimmem Husten litt und immer schwächer wurde, eine Herzerkrankung diagnostiziert: die Dilatative Kardiomyopathie. Das ist eine krankhafte Erweiterung des Herzmuskels, besonders der linken Herzkammer, wodurch die Pumpleistung des Herzens immer weiter abnimmt. Bei 50 Prozent der Betroffenen ist die Ursache unbekannt und kann diagnostisch nicht gesichert werden, so auch bei Lena. Drei Monate verbrachte das Mädchen in der Kinderherzklinik Erlangen, wo die Ärzte zunächst versuchten, sie medikamentös einzustellen. Als dies nicht funktionierte, wurde ihre linke Herzhälfte durch eine Banding-OP entlastet. Doch auch dieser Eingriff half nur für kurze Zeit. Mit 15 Monaten wurde Lena ein weiteres Mal operiert und an eine permanente externe Herzunterstützung angeschlossen. Mit dem 13 Kilo schweren Berlin Heart ist sie über Schläuche, die durch ihre Bauchdecke zum Herzen führen, fest verbunden. Sie hat sich schnell an das Gerät gewöhnt und in ihrer Entwicklung rasant aufgeholt. Nun kommt es darauf an, dass sie möglichst bald ein passendes Spenderherz bekommt.