von Dina Benito
Mavi wird bald vier. Das kleine Energiebündel klettert während unseres Gesprächs fröhlich auf den Schoß ihrer Mutter Alexia. Sie hat auch viel zu erzählen, in dieser Geschichte geht es schließlich um sie. Plötzlich hält sie inne, dreht sich um zu ihrer Mama und sagt „Ich habe dich lieb!“ „Ich dich auch“, antwortet Alexia und streicht ihr über den Lockenkopf. Glücklich schauen sich die beiden für einen Augenblick an. Wie kostbar diese Augenblicke sind, ist Alexia besonders bewusst – denn vor fast vier Jahren standen die Chancen für diese schönen, kleinen Momente mehr als schlecht.
Jetzt spenden: Herzkindern helfen
Für Mavis Diagnose muss man tief Luft holen: „Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum mit ASD, Trikuspidalklappenstenose und Vorhoferweiterung rechts sowie ein hypoplastischer rechter Ventrikel“. Kurz gesagt, ein seltener Herzfehler mit zusätzlichen, komplexen Fehlbildungen. Doch beginnen wir am Anfang – vor vier Jahren in der 22. Schwangerschaftswoche.
Bestimmt nichts Ernstes – oder?
„Ich war zur Kontrolle des Herzchens beim Spezialisten in Köln. Im Vorfeld wurde von der Frauenärztin eine leichte Auffälligkeit am Herzen vermutet. Eigentlich nichts Dramatisches, dachten wir, und wollten lediglich die Bestätigung des Facharztes“, erzählt Alexia. Doch es kommt ganz anders. Der Facharzt stellt nüchtern die erschütternde Diagnose: Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum und Hypoplastischem Rechtsherzsyndrom. Bei der Pulmonalatresie mit intakter Kammerscheidewand ist die Lungenschlagader nicht durchlässig. Das sauerstoffarme Blut aus dem Körper kann der Lunge nicht zugeführt werden und staut sich zurück. Der Arzt zeichnet zum besseren Verständnis eine Erklärung auf.
Alexia bekommt davon kaum etwas mit. Sie ist in einem Schockzustand. Nur ein Satz brennt sicher ein: „Ihr Kind muss sofort nach der Geburt behandelt werden, sonst wird es nicht überleben.“
„Ich war als Mama ausgerechnet bei dem Termin ganz allein. Der Arzt wollte mich gar nicht heim fahren lassen, weil ich völlig neben mir stand. Ab diesem Moment lebten wir in ständiger Sorge und Angst.“
„Hallo Herzbaby“ – Kennenlernen in der Kinderkardiologie
Mit diesem Wissen wird Alexia in der 37. Schwangerschaftswoche in Köln-Holweide stationär aufgenommen. Ein paar Tage später kommt Mavi zur Welt. „Es war eine wunderschöne, natürliche Geburt. Ich war total froh, dass wenigstens das möglich war. Gefühlt das letzte bisschen Selbstbestimmung, was ich in der Schwangerschaft noch hatte.“ Mama und Herzbaby dürfen noch einen Moment kuscheln, bevor die Kleine direkt ins Deutsche Kinderherzzentrum nach Sankt Augustin verlegt wird.
Nach anfänglich guten Stunden verschlechtert sich Mavis Zustand immer mehr: erhöhte Temperatur, Wassereinlagerungen, extrem hohe Atemfrequenz, Abfälle der Sauerstoffsättigung bis auf 31 Prozent. Mavi braucht unbedingt Hilfe. „Wir durften sie auch nicht mehr aus dem Bettchen nehmen, sondern nur Händchen halten und Köpfchen streicheln. Ich hatte das Gefühl, ich könne gar keine Bindung zu meiner Tochter aufbauen. Das war ihre erste Lebenswoche.“
6 Stunden Ungewissheit
Erst am siebten Tag nach ihrer Geburt können die Ärzte eine Herzkatheter-Intervention durchführen. Ihre Pulmonalklappe wird gesprengt und erweitert. Aufgrund von Komplikationen dauerte der Eingriff sechs Stunden. Doch es muss noch ein Stent in den Ductus (Verbindung zwischen Lunge und Herz bei Neugeborenen) implantiert werden, damit sich dieser nicht verschließt. Ein neuer Versuch ist für den Nachmittag angesetzt, die Katheter-Schleusen verbleiben bis dahin in den Leisten.
Auf der Intensivstation angekommen, wird Mavis Bein tiefblau. Ihr Zustand verschlechtert sich, die arterielle Schleuse muss raus. „Das war eines der schlimmsten Tage unseres Lebens. Wir haben gedacht, sie überlebt es vielleicht nicht und wir verlieren unser Baby“, erinnert sich Alexia schmerzhaft zurück. Zum Glück kann der Stent am nächsten Tag doch gesetzt werden. Ab da geht es Mavi erst einmal gut.
Zeit für nachhaltige Lösungen!
Nach drei Wochen dürfen Herzbaby und Mama endlich nach Hause. Doch die Sauerstoffsättigung fällt erneut ab. Mit nur 13 Wochen stellt sich Mavi ihrer 3. Herzkatheter-Intervention. Wieder muss die Pulmonalklappe geweitet und der Ductusstent von einwachsendem Gewebe befreit werden.
Als zwei Monate später die Sättigung erneut zu fallen beginnt, wollen die Ärzte nicht wieder das Katheter-Prozedere durchführen und Mavis kleinen Körper belasten. Eine nachhaltige Lösung muss her! „Das wäre kein Dauerzustand, dieses Verfahren ständig zu wiederholen, sagte man uns. Daher sollte eine Untersuchung im MRT gemacht werden, um zu schauen, wie es weitergehen kann. Ob es ganz ohne Operation geht, mit einer Glenn- oder sogar Fontan-OP “, berichtet Alexia.
>>Der „Fontan-Kreislauf“ soll den bisherigen gemeinsamen Kreislauf trennen, um so die Sauerstoffunterversorgung zu beheben und die hohe Belastung der Herzkammer zu reduzieren. Die Behandlung besteht aus drei notwendigen Operationen am Herzen des Kindes. Herz und Gefäße werden schrittweise chirurgisch so umgestaltet, dass das „verbrauchte“ Blut aus dem Körper passiv direkt in die Lunge fließt und die funktionsfähige Herzkammer das „frische“ Blut in den Körper pumpt. Nun spricht man von einem Fontan-Kreislauf.<<
Langes Warten auf einen Arzttermin
Doch die wichtigen Untersuchungen vorab verschieben sich immer wieder. Ein aufwändiger Umzug der Kinderkardiologie ins Bonner ELKI fällt ebenso in diese Zeit wie der Ausbruch der Corona-Pandemie. Die Termine werden zunehmend knapper und Mavis Zustand immer schlechter. „Sie schwitze ganz viel. Morgens war ihr Bettchen immer ganz nass. Sie fing in der Zeit auch an zu laufen und war bei der kleinsten Anstrengung ganz kaltschweißig und blass, kaum belastbar. Wir haben uns große Sorgen gemacht.“
Als Mavi fast ein Jahr ist, bekommt sie endlich den lang ersehnten MRT-Termin und eine neue Herzkatheter-Untersuchung. Der rechte Ventrikel (Herzkammer) hat sich grenzwertig ausreichend entwickelt. Die Trikuspidalklappe ist zwar schmal, aber die Ärzte wollen ihr noch Zeit zum Wachsen geben. Die Hoffnung ist, dass im Verlauf lediglich die Pulmonalklappe ersetzt werden muss.
Ihre Sauerstoffsättigung ist im Anschluss für die Ärzte zufriedenstellend. Durch den Vorhofseptumdefekt (ASD) kann immer noch genug Sauerstoff durch den Kreislauf fließen. Mavis Fall wird daher erst mal zurückgestellt.
Kleines Baby, große Sorgen
Doch die Herzeltern spüren, dass etwas nicht stimmt. Sie erleben ihre kleine Tochter jeden Tag und merken, dass es ihr sehr schlecht geht. „Die Sauerstoffsättigung hat ein Trugbild erschaffen. Wir haben jede Woche auf Nachricht aus der Klinik gewartet, dass Mavis Fall besprochen wurde. Unser Kinderkardiologe hat sich zum Glück sehr für uns eingesetzt, sodass sie drei Monate später noch mal untersucht wurde.“
Die Chancen stehen schlecht…
Tatsächlich stellt sich heraus, dass Mavi eine schwere Stenose in der Trikuspidalklappe, dem Einlassventil der rechten Herzkammer, hat. Zudem verschließt sich das Loch in ihrer Scheidewand immer weiter, sodass es zu weniger Druckausgleich kommt. Im Gegenzug wird der rechte Herzvorhof immer größer. Mavi hat nicht mehr viel Zeit zu warten. Es muss dringend eine Operation angesetzt werden.
Aufgrund des alarmierenden Befundes bekommt Mavi schnell einen OP-Termin. Doch wie soll operiert werden? Für die ursprünglich geplante Glenn-OP ist Mavi fast schon zu groß. Nun will das Ärzte-Team versuchen, die Trikuspidalklappe zu rekonstruieren. Es ist ein sehr seltener und komplizierter Eingriff, der nur von wenigen Ärzten durchgeführt wird. Einer von ihnen ist Professor Asfour an der Uniklinik Bonn.
Wunder geschehen
Am 01. Oktober 2020 stellen sich Mavi, Professor Asfour und das herzchirurgische Team dieser Herausforderung. In einer langen Operation schaffen sie es, die Trikuspidalklappe aufwändig zu rekonstruieren, ihren Vorhof zu verkleinern, die Pulmonalklappe zu ersetzt und den Ductusstent zu entfernt. Ihr Vorhofseptumdefekt wird zur Druckentlastung aufgeweitet. Das Ergebnis der Operation ist wider aller Erwartungen so gut, dass auf die Glenn-OP verzichtet werden konnte.
Nach nur neuen Tagen wird Mavi nach Hause entlassen. Dass die Behandlung sehr gut geglückt und sie danach so schnell genesen ist, wird später von der Stationsärztin bei Entlassung als „Wunder“ bezeichnet. „Als die Ärzte von einer Rekonstruktion sprachen, wurde uns immer gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit nicht allzu hoch sei. Die gesamte Zeit war nervenaufreibend. Wir waren froh, als wir endlich zu Hause als Familie ankommen konnte und sehr glücklich über unser ‚Wunderkind‘“, erzählt die Herzmama zwinkernd.
Eine Mutmachgeschichte für Groß und Klein
Mavi geht es aktuell sehr gut, wenngleich die Stenose der Trikuspidalklappe wieder zunimmt. Momentan besteht jedoch kein akuter Handlungsbedarf. Bei dem überraschenden Outcome und der Seltenheit des Eingriffs, halten sich die Fachleute mit einer Prognose bedeckt. „Es scheint sicher, dass die Klappe aber noch mindestens einmal operiert werden muss“, berichtet Alexia. „Wir hoffen, dass es noch sehr lange dauert. Aber auch das ist okay. Wir haben nicht mit einer Korrektur des ganzen Herzens gerechnet und hoffen, dass unsere Geschichte anderen Herz-Eltern Mut macht und ihnen Hoffnung spendet.“
Mavi geht mittlerweile in den Kindergarten. Sie spielt gerne in der Kinderküche und mit ihren drei Geschwistern. In unserem Gespräch ist sie gut gelaunt und aufgeschlossen. Sie kuschelt sich an ihre Mama und erzählt von ihrem Tag. „Sie ist ein sehr fröhliches Kind, aber in unbekannten Situationen auch in sich gekehrt und braucht dann viel Halt von uns. Wir wussten, dass die Katheter und die große Operation damals lebensrettend sein würden. Aber wirklich anzunehmen, dass man ein schwer krankes Kind hat, war und ist ein Prozess. Tatsächlich hilft es uns sehr, dass wir uns als Eltern gegenseitig haben und Halt schenken.“
Jeder Augenblick ist kostbar
Das heutige Familienglück wäre ohne das Bonner Ärzteteam um Professor Asfour nicht möglich gewesen. Durch Mavi hat die ganze Familie viel gelernt. Sie nehmen Dinge anders wahr – eine 5 in Mathe ist kein Beinbruch, dafür ist vielleicht der Sonnenuntergang gerade besonders wertvoll und schön. „Mavi zeigt uns, wie kostbar das Leben ist und hat uns insgesamt mehr Gelassenheit gelehrt. Wir versuchen, das Leben immer wieder mit mehr Erinnerungen zu füllen und nicht nur mit Alltag und Terminen.“ Eine wertvolle Lektion, die wir alle von Mavi annehmen dürfen.