von Cornelia Schimmel
Sichtlich angespannt liegt die hochschwangere Sonja auf der Untersuchungsliege in der Praxis für Pränatale Diagnostik. Bei dem Kind in ihrem Bauch besteht der Verdacht auf eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Als das Ultraschallgerät kalt über ihren Bauch gleitet, drückt sie die Hand ihres Mannes Michael so fest, bis es wehtut. Der Arzt starrt mit ernster Miene auf den Bildschirm. Dann verlässt er den Raum und kehrt mit einem Kollegen zurück. „Ihr Sohn hat keine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte“, unterbricht der Doktor das Schweigen. Die werdenden Eltern schauen sich mit einem erleichterten Lächeln an. Dann sagt der Kollege: „Ihr Sohn hat mehrere schwere Herzfehler.“
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Zwei Tage später fanden sich Sonja und Michael bei Dr. Stressig im Kinderherzzentrum Sankt Augustin wieder. Seit der Diagnose fühlten sie sich wie unter Felsbrocken begraben. Die restlichen Wochen bis zur Geburt verbrachten die werdenden Eltern mit der Suche nach einem passenden Krankenhaus für die Entbindung.
Ein kurzer Glücksmoment
An einem Freitag im Januar 2018 kam Tamme dann in Köln zur Welt. Einen kurzen Moment durfte Sonja ihr „kleines Bündel Glück“ im Arm halten, bevor es weggebracht und versorgt wurde. Ein Notfallteam aus Sankt Augustin war vor Ort und hatte das Neugeborene bereits für den Abtransport vorbereitet. „Der Arzt erklärte uns alles ganz ruhig und gab uns Zeit uns von unserem eben geborenen Sohn zu verabschieden.“
Der Herzfehler hinterlässt seine Spuren
In den ersten sechs Lebenstagen musste der kleine Tamme zwei schwere Operationen am Herzen überstehen. „Als wir wieder zu ihm durften, war unser Junge aufgedunsen und mit Schläuchen bedeckt.“, Sonja fällt es heute noch schwer, wenn sie an diese Zeit zurückdenkt.
Tamme kommt nach Hause
Nach sechs weiteren Wochen in der Klinik durfte die Familie ihr neues Mitglied endlich mit nach Hause nehmen. Sonja berichtet uns: „Unser Sohn konnte sich wunderbar entwickeln. Er hat viel gelacht und war ein glückliches Baby. Wir haben die erste Zeit zu Hause sehr genossen.“
Von Komplikationen und Unsicherheiten
Doch eine dritte Operation an Tammes Herz stand noch an. Voller Zuversicht gaben die Eltern ihren Sohn in die Obhut der Ärzte zurück. Direkt nach der OP ging es dem kleinen Kämpfer gut, allerdings saß der Venenkatheter nicht optimal. Er musste neu gesetzt werden, damit Tamme gut mit Medikamenten versorgt werden konnte. Seine Eltern entschieden sich während des Eingriffs kurz in die Krankenhauskantine zu gehen. Als sie zurückkamen, waren unzählig viele Leute in Tammes Zimmer. „Es war hektisch und besorgniserregend wild. Ärzte und Pfleger rannten rein und raus. Eine Schwester kam zu uns und bat meinen Mann und mich im Refugium zu warten.“ Zwei Stunden lang wussten die Eltern nicht, was mit ihrem Sohn geschehen war. „Ich werde niemals dieses Bild vergessen: dieser kleine Körper über und über mit Schläuchen und Kabeln bedeckt, das Blut, das durch Schläuche in eine Maschine floss und wieder zurück in den Körper. Und dann diese Stille, die trotz der Stimmen und dem Piepen herrschte.“ Nachdem sich die Lage etwas beruhigt hatte, klärte der Chirurg die beiden endlich auf: Bei der Korrektur des Venenkatheters war es zum Herzstillstand gekommen und Tamme war 38 Minuten lang reanimiert worden.
Drei Monate in der Klinik
Tammes Genesung verlief sehr schleppend. Es dauerte gefühlte Ewigkeiten bis nach und nach die Schläuche verschwanden. Nach fünf Wochen wurde Tamme endlich von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt. Insgesamt wurden es 13 Wochen, in denen Ärzte, Pfleger, beide Eltern und vor allem Tamme um jeden kleinen Genesungsfortschritt kämpften. Und Tamme gewann diesen mühsamen Kampf zurück ins Leben!
Eine Engelsstimme für Tamme
Während der schweren Zeit in der Klinik gab es einen ganz besonderen Sonnenstrahl in Tammes Alltag: Musiktherapeutin Julia Hüging. „Die Zeit, in der Julia bei ihm war, war so wertvoll und nachhaltig. In dieser Zeit durfte Tamme einfach nur sein. Er musste nichts leisten und nichts über sich ergehen lassen. Julia Hüging hat Tammes Bedürfnisse erkannt und ist darauf eingegangen. So hat sie ihm in der schweren Zeit unbeschwert glückliche Momente geschenkt“, schwärmt Mama Sonja. Klatschend, singend und mit Glöckchen rasselnd lud Frau Hüging den kleinen Tamme ein, sich zu entspannen. Noch heute profitiert er von der heilenden Arbeit von Frau Hüging. „Wann immer Tamme unzufrieden ist oder er Schmerzen hat, helfen ihm Töne, Klänge und Gesang darüber hinweg.“
Einfach wäre auch schön
Heute ist Tamme anderthalb Jahre alt und ein fröhlicher Kerl. „Der Weg ist kein leichter und jeden Tag gibt es Momente, in denen ich mir denke: einfach wäre auch schön. Doch letztlich ist dies nun unser Leben, denn Tamme ist unser Sohn und ich würde unser Leben um nichts in der Welt eintauschen!“
Die Musiktherapie für Kinder mit angeborenem Herzfehler wird nicht von den Krankenkassen übernommen. Emotional und sozial ist dieses Therapieangebot für die Heilung der kleinen Langzeitpatienten sehr förderlich. Es ist erwiesen, dass sie der Wahrnehmungs- und Entwicklungsförderung im Kindesalter dient. Kinder lieben es, Musik zu machen, sich zum Rhythmus zu bewegen. So kann die Musiktherapie den Kindern helfen, den Klinikalltag angenehmer zu erleben und möglichen Entwicklungsstörungen vorzubeugen. Frau Hüging arbeitet seit Jahren im Team kinderherzen. Durch ihre tägliche Arbeit in der Klinik profitieren Kinder mit Herzfehler kostenlos von der Musiktherapie. Ihre Spende hilft.
Seit 30 Jahren setzt sich kinderherzen für die Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten von Kindern und Erwachsenen mit einem angeborenen Herzfehler ein. Angeborene Herzfehler sind die häufigste angeborene Organfehlbildung. Allein in Deutschland leben über 100.000 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler.
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