Jenni und Benjamin sind bei der Frauenärztin zum großen Ultraschall. Es ist die 20. Schwangerschaftswoche. Das junge Paar freut sich riesig auf ihr erstes Kind, einen kleinen Jungen. Plötzlich wird die Ärztin stutzig. Sie sieht auf dem Monitor, dass mit dem kleinen Herzchen etwas nicht stimmt. „Tatsächlich hat die Frauenärztin den Herzfehler schon richtig erkannt und benennen können, obwohl das ja nicht mal ihr Fachgebiet ist. Ich habe erst im Auto realisiert, was sie uns alles gesagt hat. Für uns ist eine Welt zusammengebrochen.“
Bei der Pränataldiagnostik wird die Befürchtung bestätigt. Doch damit nicht genug. Die Ärzte unterrichten die Eltern über die Möglichkeit, das Ungeborenen auf das Down-Syndrom zu testen. Außerdem werden sie vorsichtshalber zu einem möglichen Schwangerschaftsabbruch aufgeklärt. Sie machen aber auch klar, dass die Entscheidung immer voll bei den Eltern liegt.
Sie entscheiden sich dagegen. „Wir waren da schon in der 23. oder 24. Schwangerschaftswoche. Wir wollten unser Kind auf jeden Fall bekommen, komme was wolle. Wir haben uns dann gegen den Fruchtwassertest entschieden.“
Früher als erwartet
Jenni kommt mit Bluthochdruck in die Klinik: Verdacht auf Schwangerschaftsvergiftung. Doch es entpuppt sich als falscher Alarm. Trotzdem muss sie zwei Wochen in der Frauenklinik bleiben, bevor sie entlassen wird. „Zu Hause angekommen, schoss der Blutdruck aber direkt wieder in die Höhe und das war auch für das Baby gefährlich. Darum bin ich wieder in die Klinik gefahren. Ab dem Abend sollte alles anders werden.“
Zurück in der Klinik stellen sie fest, dass die Versorgung des Babys immer schlechter wird. Jenni muss sofort ins Krankenhaus nach München. Die Ärzte spritzen dort vorsichtshalber ein Mittel zur schnelleren Lungenreife. Zum Glück, denn das Herzbaby lässt nicht mehr viel Zeit für Überlegungen. Es vergehen noch zwei Tage, bevor es heißt „Notkaiserschnitt“. Jenni kann gerade noch Benjamin anrufen, um Bescheid zu geben, dass es losgeht. Dann wird sie bereitgemacht für die Geburt.
Acht Wochen vor dem errechneten Termin kommt der kleine Levi zur Welt. Er ist noch sehr klein und mit 1.190 Gramm ein Leichtgewicht. Bei Levi liegt eine Trikuspidalatresie mit VSD vor. Er hat ein univentrikuläres Herz, ein Einkammerherz. Es steht nur eine funktionsfähige Herzkammer zur Verfügung. Ein schwerer Herzfehler, der mehrere Operationen benötigt, um ihm eine Chance auf ein Leben zu ermöglichen.
Papa Benjamin ist da, als das Neugeborene auf die Intensivstation kommt. Seine Mama wird er aber erst zwei Tage später kennenlernen.
Im Rollstuhl und noch geschwächt von der Geburt, darf Jenni endlich ihr Herzbaby sehen. „Er war noch so unfassbar klein, aber bis auf den Herzfehler war er gesund.“ Levi muss unbedingt zunehmen und wachsen, damit er sich der Operation stellen kann. Während Levi im Krankenhaus aufgepäppelt wird, warten die Eltern auf einen freien Platz im Deutschen Herzzentrum München.
Ein (zu) kleines Herz für eine große OP
Nach knapp zwei Monaten ist es so weit. Levi könnte ruhig mehr Gewicht haben, aber die Herzkatheteruntersuchung muss endlich stattfinden. Jedoch läuft es nicht wie geplant. Das Herzchen ist noch sehr klein und der gesetzte Shunt dafür zu groß. Es kommt zu Komplikationen. Im Bein entsteht ein Blutgerinnsel. Der Unterschenkel muss operiert und offengelegt werden, um Levi dadurch nicht noch mehr zu gefährden. Auch den Darm müssen die Ärzte operieren und legen einen künstlichen Darmausgang. Damit hat das Herzbaby schon drei große Eingriffe in den ersten zwei Lebensmonaten hinter sich.
Zwei Monate später soll die große Herz-Operation durchgeführt werden. Bis dahin ist das Hauptziel: Levi muss zunehmen. Das wird durch den künstlichen Darmausgang deutlich erschwert. Über eine Vene wird Levi zusätzlich ernährt, um mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu werden.
Da das Herzzentrum in München knapp 200 km von ihrem Wohnort entfernt liegt, wird die Familie ins heimatnahe Ulm verlegt. Die Eltern können immer mal wieder nach Hause fahren. „Man hat sich in der Klinik so hilflos gefühlt“, erzählt Herzmama Jenni. „Da tat es gut, zum Kraft tanken auch mal zu Hause in den eigenen vier Wänden zu sein. Wir sind gemeinsam als Eltern ins Krankenhaus gefahren und konnten Levi besuchen. Es tat gut, meinen Mann an der Seite zu haben.“
Schritt für Schritt zum Fontan-Kreislauf
Es ziehen weitere Wochen ins Land, in denen Levi im Krankenhaus verbleibt, um stärker zu werden und Energie zu sammeln. Bald steht die zweite von insgesamt drei Eingriffen bevor, die zu einem sogenannten Fontan-Kreislauf führen – die Glenn-OP. Gute vier Monate nach seiner Geburt ist es so weit. Die Eltern sind nervös und warten auf den Anruf, ob es ihrem kleinen Liebling gut geht.
Die Operation ist gut verlaufen, Erleichterung breitet sich bei Jenni und Benjamin aus. Levi erholt sich so schnell wieder von den Strapazen des Eingriffs, dass er bereits nach zwei Tagen von der Intensivstation nach Ulm verlegt werden kann. Im Laufe der nächsten Wochen erholt sich das Herzbaby immer mehr. Bald benötigt er auch keinen künstlichen Darmausgang mehr und wird mit der Flasche gefüttert. Im Krankenhaus kontrolliert ein Monitor das kleine Herzchen und die Sauerstoffsättigung.
>>Der „Fontan-Kreislauf“ soll den bisherigen gemeinsamen Kreislauf trennen und das Herz auf ein Einkammersystem umstellen. Die Behandlung besteht aus drei notwendigen Operationen. Herz und Gefäße werden schrittweise chirurgisch so umgestaltet, dass das „verbrauchte“ Blut aus dem Körper passiv in die Lunge fließt und die funktionsfähige Herzkammer das „frische“ Blut in den Körper pumpt. Lungen- und Körperkreislauf sind voneinander getrennt. Nun spricht man von einem Fontan-Kreislauf.<<
Als Levi ein halbes Jahr alt ist, darf er endlich mit Mama und Papa nach Hause. Das erste Mal im eigenen Heim. Für alle beginnt eine ganz besondere Zeit. „Wir haben uns natürlich riesig gefreut, aber waren auch sehr aufgeregt. Wir haben keinen Monitor zur Überwachung mit nach Hause bekommen“, erzählt Jenni. „Die Ernährung war zuerst auch schwierig. Ich habe oft eine bis anderthalb Stunden benötigt, damit er zumindest 100 Milliliter trinkt, aber mit der Zeit hat sich auch das eingespielt.“
So vergehen anderthalb Jahre, in denen die kleine Familie immer mehr zusammen wächst. Levi wird größer und stärker, entwickelt seinen eigenen Willen und seine eigene kleine Persönlichkeit. Das Herzkind hängt sehr an seiner Mama. Als die Familie wieder ihren Koffer packt, um ins Herzzentrum München für eine Herzkatheteruntersuchung zu fahren, ahnen sie noch nicht, was sie dort erwartet.
Ein Eingriff mit Folgen
Da es Levi zu Hause gut ging und es keine Anzeichen für Schwierigkeiten gab, konnten die Eltern nicht erkennen, dass seine Sauerstoffsättigung immer weiter abgenommen hat. In München allerdings wird Alarm geschlagen. Levi muss schnell behandelt werden. Immer wieder wird die Sättigung gecheckt, doch es gibt keine Besserung. Bei diesem Aufenthalt war eigentlich nur der Herzkatheter geplant, doch aufgrund der schlechten Sättigung entscheiden die Ärzte: „Die Fontan-OP muss jetzt durchgeführt werden.“ Die Zeit drängt.
Die OP verläuft komplikationslos. Levi muss sich jedoch erst an den neuen Kreislauf gewöhnen. Nach zehn Tagen Intensivstation und einem weiteren Herzkatheter darf er auf die Normalstation. Doch die Sättigungswerte sind immer noch schlecht. In Absprache mit den Lungenärzten wird der Entschluss getroffen, dass am nächsten Tag ein CT der Lunge gemacht werden muss.
In der anschließenden Nacht benimmt sich der kleine Herzjunge besorgniserregend. Er schreit und schreit, niemand kann ihn beruhigen – nicht mal Mama. Er scheint starke Schmerzen zu haben. Trotz hoher Herzfrequenz sieht der Ultraschall gut aus. Das CT am nächsten Morgen bringt Klarheit: In der Lunge haben sich Fisteln gebildet, die für seine schlechte Sättigung verantwortlich sind.
Auch körperlich geht es Levi nicht gut. Die OP-Narbe ist gerötet und angeschwollen. Die Eltern sind besorgt: „Jeden Tag kam ein Chirurg vorbei und hat sich Levi angeschaut. Wir haben engmaschige Kontrollen mit Fotos gemacht, um zu sehen, wie sich die Wunde entwickelt. Als am vierten Tage die Wunde zu feuchten begann, war ein anderer Chirurg auf Station.“ Er erkennt die Situation auf einen Blick. Levis Wunde hat sich entzündet und nicht nur das: Das Herzkind hat eine Sepsis.
Levi muss erneut in den OP. Die Ärzte versorgen nochmals seine Wunde und verabreichen ein Antibiotikum, dass gegen die bakterielle Entzündung wirken soll. Nach einigen Tests können sie den Übeltäter der Entzündung identifizieren und das entsprechende Antibiotikum verabreichen. In der Zeit muss Levi in der Klinik bleiben. Wie bei den vorherigen Aufenthalten im Herzzentrum München kommt Jenni im nah gelegenen Ronald McDonald Haus unter und kann so stets in der Nähe ihres kleinen Jungen sein.
Endlich nach Hause kommen und bleiben
Die Antibiotikum-Therapie schlägt gut an. Levi erholt sich jeden Tag mehr von der OP und den Komplikationen. Ursprünglich sind Jenni und Benjamin davon ausgegangen, dass sie die Klinik als Familie nach 10 Tagen wieder verlassen können. Nun sind zwei Monate vergangen. „Bei der Entlassung sind Tränen geflossen. Man ist einfach dankbar für alles und trotzdem freut man sich auf zu Hause“, erinnert sich Jenni.
Eine wichtige Sache begleitet sie dieses Mal mit nach Hause – ein Monitor. „Mittlerweile nutzen wir ihn nur noch, wenn Levi einen Infekt hat“, erzählt Jenni heute, „aber zu dem Zeitpunkt war ich schon sehr froh, dass wir ein Gerät hatten, um sicherzustellen, dass mit ihm auch wirklich alles in Ordnung ist.“
Seitdem hat sich Levi sehr gut entwickelt und macht tolle Fortschritte. Heute ist er ein kleines Kindergartenkind, liebt Seifenblasen und draußen im Sandkasten zu spielen. Er nimmt noch einen Blutverdünner und muss vierteljährlich zur Untersuchung. Vermutlich werden auch in der Zukunft noch Herzkatheteruntersuchungen anstehen, aber die großen Operationen hat der fröhliche kleine Junge endlich hinter sich.
Wenn Jenni heute in das lachende Gesicht ihres Sohnes blickt, ist sie erfüllt von Glück und Dankbarkeit. „Wir sind unendlich froh, dass die Medizin so weit ist und unser Kind lebt. Es war nicht immer leicht und die Ängste bleiben, doch das Lachen seines Kindes zeigt, dass es jeden Kampf wert war. Gebt nicht auf!“
Text von Dina Benito