Ronja: „Lasst euch von eurem Herzen leiten.“

Ein Interview mit Ronja, eine von 300.000 EMAH* in Deutschland.
von Dina Benito

*Erwachsene mit angeborenem Herzfehler

Ronja betritt ganz entspannt die Uniklinik Bonn. Sie verbindet viel mit diesem Ort, denn sie ist nicht nur als Patientin hier. Sie kümmert sich heute als Auszubildende selbst um die Herzkinder auf der kardiologischen Station. Damit erfüllt sie sich nicht nur den Traum vom Arbeiten im Gesundheitssektor, sondern entscheidet sich auch ganz bewusst für ihren eigenen Lebensweg. Einen Weg, von dem ihr viele gesagt haben, dass sie ihn nicht beschreiten könnte.
Ronja kommt 1991 mit mehreren komplexen Herzfehlern zur Welt. Die Liste der Diagnosen ist lang. Wenige Tage alt wird sie per Rettungshubschrauber nach Sankt Augustin verlegt und operiert – die erste von zwei Operationen. Ein Herzschrittmacher, zwei Katheterablationen und diverse Kardioversionen kommen mit der Zeit noch dazu. Ebenso wie der große Wunsch, ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen und anderen Menschen dabei zu helfen, ihre Träume umzusetzen. Uns erzählt sie, was sie antreibt und welche Erfahrungen sie in ihrem Leben als „großes Herzkind“ gemacht hat.

Woher kommt dein Wunsch, anderen Herzkindern helfen zu wollen?
Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, allein was man medizinisch alles mitmacht, aber auch sozialrechtliche Fragen, beispielsweise wie die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises. Man hat so viele Fragen und ich hätte mir früher einen Ansprechpartner sehr gewünscht. Besonders als Jugendliche oder mit Anfang 20 bezogen auf Fragen zur Berufswahl. Was ist mit körperlicher Anstrengung? Was darf ich, was nicht?
Mit 17 habe ich einen Herzschrittmacher bekommen. Das war eine schwierige Zeit für mich. Zum Glück hatte ich einen netten Kardiologen, den ich immer alles fragen konnte. Das hat mir total geholfen. Aber aus der eigenen Erfahrung heraus konnte mir da keiner weiterhelfen und ich möchte gerne als diese Person zur Verfügung stehen.

Was möchtest du Herzfamilien mitgeben?
Jeder Verlauf ist individuell. Keine Diagnose, Therapieverlauf oder Operation kann man miteinander vergleichen. Mir wurde beispielsweise von verschiedenen Ärzten meine Lebenserwartung gesagt – ob ich es hören wollte oder nicht. Ich habe mir das natürlich zu Herzen genommen, als ich jünger war. Hört auf sowas bitte nicht! Habt eine positive Einstellung. Der Herzfehler ist ein Teil von einem und es gehört zum Leben dazu. Aber man kann sich immer ein gutes Leben um seinen Herzfehler herum aufbauen. Wo sind meine Stärken und wie kann ich sie nutzen – und dann in dieser Richtung seinen Alltag und das Leben gestalten.

Wo sind deine Stärken?
Im Umgang mit anderen Menschen, vor allem chronisch Kranken. Ich versuche offen und aufmerksam zuzuhören und kann sehr gut in die Sorgen und Gedanken nachvollziehen, die ein Leben mit chronischer Erkrankung so mit sich bringen. Daraus ist auch meine Intention entstanden, mich für die Pflegeausbildung zu entscheiden. Ich kann mich sowohl in die Sicht der Patienten einfühlen – ich bin schließlich selbst eine – als auch in die fachliche Seite. Das ist eine super Kombination für die bestmögliche Patientenversorgung. Das wünsche ich mir zumindest für die Zukunft.

Hast du schon Kontakt zu anderen Herzfamilien?
Mit einer Herzfamilie habe ich bereits engeren Kontakt. Die Mutter fragte mich letztens, ob es ratsam wäre, ihr Herzkind auf Klassenfahrt zu begleiten. Sie würde gerne mitgehen, da sie Angst hat, ihr Kind allein zu lassen. Ich habe ihr davon abgeraten. Man möchte als Kind nicht immer in Watte gepackt werden und auch die Erfahrung machen dürfen, einmal allein auf sich gestellt zu sein ohne die elterliche Kontrolle. Und dann doch besser auf einer Klassenfahrt mit Bezugspersonen als ganz woanders.

Erinnerst du dich an besondere Herausforderungen in deiner Kindheit und wie du sie gemeistert hast?
Ich erinnere mich, dass ich in der Grundschulzeit viel mehr Pausen brauchte, weil ich schneller körperlich erschöpft war. Aber ich musste selbst lernen, meine Grenzen zu fühlen. Als Kind habe ich immer versucht, mit anderen Kindern mitzuhalten. Teilweise wusste ich noch nicht, wie viel Belastung mein Herz erträgt, teilweise musste ich aber über meine Grenzen gehen, um mithalten zu können. So war es auch mit der Befreiung vom Schulsport. Einerseits war ich total erleichtert, weil ich nicht mehr mithalten musste, andererseits musste ich während des Sportunterrichts auf der Bank sitzen und zuschauen, was mir dann gezeigt hat, was ich nicht „kann“. Im Nachhinein bin ich aber froh über das Attest für den Sportunterricht, weil mir der Druck genommen wurde.

Und als du dann schon älter warst, als Jugendliche – gab es da einschneidende Erlebnisse?
Ich habe mit 17 Jahren einen Herzschrittmacher bekommen. Das kam für mich sehr überraschend und war kurz vor zwölf … Ich hatte zuvor schon vermehrt Herzrhythmusstörungen und konnte meinem Alltag nicht mehr wie gewohnt nachgehen. So ging es mehrere Monate lang, bis ich nur noch an vereinzelten Tagen zur Schule gehen konnte.
Ich wusste zwar, dass meine Kinderkardiologin und die Ärzte in der Klinik bereits über einen Schrittmacher diskutierten, aber die Implantation kam für mich doch plötzlich. Mir ist bis heute mehr als bewusst, dass mein Leben von diesem Gerät abhängt. Damals war der Gedanke ziemlich beängstigend, gleichzeitig bin ich aber auch unglaublich dankbar für diesen Fortschritt der Medizin.
Danach wieder in die Schule reinzufinden war sehr schwierig für mich, aber ich wollte den Abschluss unbedingt schaffen. Im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr, wie ich das alles nachholen konnte, aber ich habe es letztendlich geschafft. Rückblickend wäre ein Angebot von psychologischer Unterstützung im Umgang mit der Operation und dem Schrittmacher sinnvoll gewesen, weil man gerade in diesem Alter nicht viele Gesprächspartner hat, die sich da hineinversetzen können.

Du arbeitest jetzt selbst an der Uniklinik Bonn. Wie ist das für dich?
Das ist ein bisschen wie mein zweites Zuhause. Ich war zuerst als Patientin hier und bin es seit Anfang 2022 als Auszubildende. Nach der Ausbildung möchte ich auch gerne im Fachbereich der Kinderherzchirurgie weiterarbeiten. Die Kolleg*innen sind mir gegenüber sehr wertschätzend und ich fühle mich sehr wohl in der Uniklinik Bonn. In der Vergangenheit habe ich auch andere Erfahrungen mit Arbeitgebern gemacht. Viele können mit der Diagnose angeborener Herzfehler nichts anfangen und haben Vorurteile, aber ich finde es wichtig, mit offenen Karten zu spielen. Viele Krankheitstage habe ich übrigens trotzdem nicht.

Wie oft musst du noch zur Untersuchung?
Zweimal im Jahr gehe ich zur Routinekontrolle inklusive Schrittmacherabfrage und Batteriekontrolle. Ich lese meinen Schrittmacher einmal die Woche selbst aus und falls etwas Gravierendes passieren würde, bin ich im Austausch mit meinem Kardiologen.

Hast du heute noch oft mit deinem Herzfehler zu kämpfen?
Ich habe natürlich gute und schlechte Phasen. Immer mal wieder habe ich Vorhofflimmern (Herzrhythmusstörung). Das bringt mein Krankheitsverlauf mit sich. Damit habe ich seit 2015 vermehrt zu tun – manchmal sogar für Minuten bis Stunden. Wenn es nicht von allein weggeht, nehme ich eine sogenannte „Pill-in-the-Pocket“, ein Notfallmedikament. Und falls das nichts hilft, muss ich in die Klinik. Im absoluten Notfall werde ich mit einem Defibrillator elektrisch kardioversiert. Beim ersten Mal war es richtig schlimm für mich. Ich dachte, ich muss sterben. Doch mittlerweile habe ich schon 13 Kardioversionen hinter mir und kann dem mit wesentlich mehr Gelassenheit entgegensehen. Ich rufe mir mittlerweile sogar meinen Rettungswagen selbst.

Was treibt dich noch an?
Ich möchte den Menschen mitgeben, dass wir aus jeder Situation das Beste machen können. Andere dabei zu motivieren, sich nicht hängenzulassen und dass man einen Sinn für sich findet und sich nicht aufgibt, auch nicht in schwierigen Situationen. Durch meinen Herzfehler habe ich eine andere Sicht auf die Gesellschaft bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch seine Einzigartigkeit und seine Stärken nutzen sollte, um dem Leben einen Sinn zu verleihen. Dabei ist es wichtig, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen, anstatt sich von gesellschaftlichen Normen oder Vorurteilen einschränken zu lassen, nur weil man chronisch krank ist.

 

Wir bedanken uns für dieses tolle Interview und wünschen dir von Herzen alles Gute für die Zukunft, liebe Ronja!